Verbindungen

 Aus einem Vortrag von Tim Jackins auf einem Workshop für die Regionalen Referenzpersonen in Europa, Oktober 2003 

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 Wir müssen stets an zwei Fronten   arbeiten: Draussen ind der Welt, wo wir mehr Menschen erreichen, über Unterdrückung reden, unsere Ideen verbreiten. Die andere Front ist hier, wo wir die Ideen entwickeln und die Fähigkeit sie zu verbreiten. Wir müssen immer wieder zurückkommen und diese Arbeit gemeinsam tun.

 Zu diesem Zeitpunkt wissen wir mehr, als wir je zu träumen wagten. Wir haben ein besseres Leben, als wir jemals zu hoffen wagten. In unserem Leben sind wir wacher, als wir es uns jemals vorstellen konnten zu sein. Wir besinnen uns tatsächlich auf das Leben und vergegenwärtigen es uns. Wir sind so lebendig; das ist mehr, als wir erwartet hatten. Wir haben außerhalb von NC bessere Beziehungen und auch unter uns. Dennoch ist klar, dass wir noch viel mehr haben könnten. Es geht nicht nur darum, dass es noch viel Arbeit zu tun gibt; es geht darum, dass wir in unseren Beziehungen miteinander noch viel mehr haben könnten.

Zu diesem Punkt müssen wir immer wieder zurückkommen. Zwei der größten Beschränkungen, die wir haben, wenn wir nach draußen gehen und versuchen mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen, sind: 1. unser Selbstbild – wie verwirrt wir werden, wenn wir anfangen uns schlecht über uns zu fühlen, und 2. wie unsicher wir uns darüber sind, ob andere Leute Beziehungen mit uns haben wollen.

 Bezüglich Beziehungen und bezogen auf uns selbst werden wir ganz schön früh und sehr gründlich durcheinander gebracht. Während meiner ganzen Zeit in der Leitung von Co-Counseling, habe ich Menschen ermutigt, in ihren Beziehungen, füreinander da zu sein. Ich habe in den letzten paar Jahren, um der Menschen willen darauf gedrängt, es abzulegen ein schlechtes Selbstwertgefühl zu haben. Das sind zwei der frühesten Ungereimtheiten, die uns hiernach alles schwieriger machen. Sie geschehen sehr früh, und deswegen „gewöhnen“ wir uns an sie.

Wir sind es gewohnt, uns schlecht über uns zu fühlen. Wir merken es fast nicht. Wir haben gelernt, damit zu leben; wir kriegen es hin. Wir haben ebenso gelernt das Leben aus einer Perspektive des Alleinseins zu sehen. Wir planen unsere nächsten Schritte aus einer Sichtweise sie allein für uns überlegen zu müssen, als wenn uns niemand verstehen könnte. Diese Verwirrungen infizieren alles, was wir zu tun versuchen und machen uns weniger wirkungsvoll und sie verringern den persönlichen Bezug. Wir verrichten die Dinge mit Abstand auf Armeslänge ohne uns zu erlauben, uns mit den Menschen tatsächlich lebendig zu fühlen.

Also, ihr müsst aufhören, schlechte Selbstwertgefühle zu haben. Sich schlecht über sich selbst zu fühlen ist keine Wahl mehr. Das, was ihr entschieden habt tun zu wollen, lässt euch keine andere Wahl. Du kannst solche Dinge nicht vollbringen und dich über dich selbst schlecht fühlen. Die Wahl hast du vor langem getroffen – auch wenn du dir dessen nicht bewusst warst. Ein Teil dessen, was du dir ansehen musst, ist, dass du dich nie wieder schlecht über dich selbst fühlen solltest. Ein erster Schritt ist es, solchen Gefühlen nie zu glauben. Du wirst diese Gefühle haben, bis diese Schmerzerfahrungen entlastet sind, aber du musst ihnen durchaus nie mehr glauben. Du kannst gegen sie ankämpfen oder sie ignorieren oder deine Gedanken von ihnen weglenken, aber du musst nicht durchs Leben gehen, in dem Glauben sie seien ein zutreffendes Bild von irgendetwas, außer davon, was dir passiert ist. (Sie erzählen dir tatsächlich etwas darüber, was passierte und wie es dich infizierte.)

Vor einem Jahr habe ich mich auf einige Fragen besonnen und Leute gebeten, sie auszuprobieren. Ich bat sie Fragen zu stellen, nicht: „Bin ich nicht das wunderbarste Wesen, das du je gesehen hast?“ oder: „Bin ich etwas Besonderes?“ oder irgend solche überspannten Dinge, die unsere Schmerzermuster zur Beruhigung wissen wollen. Sie sollen einfach fragen: „Willst du mich in deinem Leben haben? Bin ich Teil der Realität (Wirklichkeit?), die du dir aufbauen würdest, wenn du die Wahl hättest? Kennst du mich und schätzt du mich und verstehst du mich gut genug um mich in deiner neuen Realität haben zu wollen?“ Es wird deutlich, dass die meisten von uns sich nicht sicher sind, ob jemand das Universum, mit uns darin, wieder erschaffen würde. Die meisten von uns fühlen sich, als wären wir ein Zufall. „Ach ja, ich bin hier. Aber niemand scheint es aufgefallen zu sein; kein Mensch scheint danach getrachtet zu haben, dass ich hier sein kann.“ Was natürlich nicht stimmt. Oft gaben sich Leute sehr viel Mühe, damit wir hier sein können, aber als wir angekamen, wurde es nicht sehr gut gezeigt. Die Leute, die sich so viel Mühe gaben, waren in ihren eigenen Kämpfen gefangen – in der Art, wie sie unterdrückt und verletzt worden waren, und in ihren Ängsten und Einsamkeitsgefühlen – und sie konnten uns nicht zeigen, dass sie unser Dasein wollten.

Viele von uns sind perplex, hier zu sein. Es ist schön, dass wir hier sind, aber ... ich vermute, dies ist einer der Gründe, weshalb Menschen einem Sinn nachjagen, und manche wenden sich an eine Religion um jemanden zu finden, der ihnen zu vermitteln versucht, dass es eine Verbindung zwischen uns gibt.

Im Juli bekam ich einen anderen Blick auf diese Themen. Ich hatte die Gelegenheit eine Woche mit einem neuen Menschen zu verbringen – es war ihre dritte Woche – und ich habe Bilder von ihren ersten Tagen gesehen. Es erinnerte mich an viele andere sehr junge Menschen, die ich gesehen hatte und wie verschieden ihre Gesichtsausdrücke von unseren sind. Was sie zu suchen schien, war anders, als das, was wir wagen zu suchen. Wonach suchst du? Suchst du nach jemanden, der dich mag? „Magst du mich?“ In der Frage steckt nicht viel Starkes oder Positives oder Verlässliches. Sie ist äußerst vorsichtig. Sie ist eins der kleinen Stücke, die wir von den großen ursprünglichen Fragen noch übrig haben.

Ich glaube wir kommen auf die Welt und suchen nach etwas ganz Großem und Starkem und Klarem, und es ist nicht „Magst du mich?“ Kein Kind kommt mit der Frage: „Magst du mich?“ an. Es ist nicht die Frage um die es geht. Es ist ein winziger Teil, der uns übrig geblieben ist. Wir werden derart niedergeschmettert, dass bei diesen kleinen Splittern der echten Frage enden. Auf diese Weise können wir manchmal genug Zuversicht zusammenraffen um den Gefühlen zu widersprechen und sie zu entlasten und dann können wir anfangen, uns wieder verbunden zu fühlen. Diese Fragen bekommen eine Wichtigkeit, die uns, glaube ich, in die Irre führt.

Ich glaube, die wirkliche Frage ist: „Wie bin ich verbunden? Mit wem bin ich verbunden? Wo gehöre ich hin? Wo kann ich anknüfgen? Wo ist mein Platz bei dir?“ Das Gesicht dieser Kleinen war nicht glücklich. Für die Kleinen ist die Geburt meistens nicht leicht, auch nicht für die Mütter. Oft gibt es Dinge, die Babys von Anfang an entlasten müssen. Aber es gibt auch deutlich sichtbar eine Suche nach Verbindung, es sei denn, die Schmerzerfahrungen sind besonders heftig: „Wo kann ich anknüpfen? Wo ist mein Platz bei dir? Gehörst du zu mir? Bist du diejenige, der ich für immer nahe und verbunden sein kann?“ Ich glaube, das ist so ungefähr die Frage, mit der wir auf die Welt kommen. „Okay, wo ist mein Platz? An wen kann ich mich binden? Wo ist die Seele, die meiner ähnlich ist? Wo sind meine Leute? Wer ist da draußen?“ Und üblicherweise gibt es niemanden, der so gut in Form ist, dass er auf eine zuverlässige Weise antworten kann. Man sieht Babys, die es über Stunden, Tage, Wochen – vielleicht über Monate versuchen, aber dann siehst du, wie sie aufhören suchend zu schauen.

 Irgendwann wurden wir alle enttäuscht. Es wurde zu schwierig zu suchen und eine Antwort zu erwarten, zu schwierig, offenherzig zu suchen, und dann haben wir aufgehört es zu versuchen. Und nun können wir nicht mehr suchen, wir wagen es nicht mehr. Es fühlt sich so an, als würden wir erdrückt, wenn wir so offenherzig suchen würden, wenn wir wirklich jemanden suchen und dann nicht finden würden.

 Wir haben aufgegeben. Es wurde zu schwierig. Noch ein Misserfolg schien uns mehr zu sein, als wir ertragen konnten, und dann haben die Schmerzaufzeichnungen die Sache übernommen. Ich glaube, das passiert jedem in unterschiedlichem Maße. Manche Leute bewahren sich noch eine andere Stimmung als andere, aber ich glaube nicht, dass irgendwer von uns die Gelegenheit, die perfekten Umstände, erhalten hat, uns diesen Kampf und diese Schmerzen zu ersparen.

Ich glaube, wir können zurückgehen und uns das wieder erschließen. Es muss eine Möglichkeit geben herauszufinden, was diese Verbindung sein könnte. Das werden wir tun. Es wird möglich sein – in wie vielen... in drei Generationen? Es wird eine Generation erscheinen, für die die Chancen anders sind. Eine bedeutende Anzahl von Menschen werden nachgedacht und ausreichend gearbeitet haben, damit es genügend Ressourcen geben wird. Es wird jemand da sein um das neue Wesen zu begrüßen – und wird über Stunden da bleiben, und die Verbindung herstellen.

Und wir? Wir machen die Arbeit, die das für alle Menschen verändern wird. Aber wir müssen diese Arbeit tun. Wir müssen das, was uns geschehen ist, abbauen. Und jeder Schritt, den wir uns selbst erlauben, in die Richtung zu gehen, wird einen großen Unterschied ausmachen.

Schon der Gedanke „vielleicht könnten wir“ ist für viele von uns der Anfang. „Vielleicht könnten wir“. Vielleicht könnten wir es wagen, wieder hinzuschauen und unsere Augen dort zu halten und nicht auszuweichen, nicht auszublenden, nicht förmlich und korrekt oder vorsichtig oder spielerisch zu werden oder was auch immer wir tun um uns zu schützen, sondern einfach da bleiben – kämpfen um an der Stelle zu verweilen, an der wir einst aufgegeben haben. Alles was wir unternehmen können um uns daran zu erinnern, dass das möglich ist, dass wir es vielleicht hinkriegen können, wird einen bedeutsamen Unterschied für unseren Blick aufeinander machen. Dies wird alles Mögliche weiter voranbringen.

Es ist eines dieser Schmerzmuster, die wir privat tragen. Wir verlieren das Bewusstsein dafür, dass jeder es trägt. Es scheint persönlich und einzigartig zu sein. Wir haben unterschiedliche Ausprägungen davon, aber ich glaube, wir alle tragen es. Und es ist für uns alle chronisch, deshalb ist es schwierig es in Frage zu stellen. Das heißt, es ist eines dieser Schmerzmuster, bei denen wir einander helfen müssen. Wir brauchen es niemanden zu überlassen, diesen Kampf allein aufzunehmen. Wir müssen unsere Co-CounselerInnen erinnern und ermutigen, etwas Zeit darauf zu verwenden, egal woran sie gerade arbeiten wollen. Es ist wie mit unserem schlechten Selbstwertgefühl: es verwirrt und schwächt uns in jedem anderen Kampf. Wenn wir nicht wiederholt etwas dagegen unternehmen, wenn wir die Spur verlieren, sind all die anderen Kämpfe schwieriger. Eigentlich sollten wir in dieser Woche vierzig Stunden daran arbeiten, aber (er lacht) ein paar andere Dinge könnten dazwischenkommen. Trotzdem, wir dürfen uns das nicht vergessen lassen oder wir verlieren die Blickrichtung. Also, erinnert einander.

Ich habe ein Bild, das ich herumreichen werde, das uns helfen kann, uns daran zu erinnern. Es ist ein Bild von einer Kleinen, die in die Welt hinausschaut. Es ist der zweite Tag nach ihrer Geburt, und sie schaut ins Leben hinaus. Wie brauchen Erinnerungen wie diese.

Wir können uns über diesen Kampf klar werden, hier, in der Sicherheit unserer Vereinbarungen als Co-CounselerInnen. Wir werden in unseren Co-Counseling-Beziehungen so menschlich sein, wie wir können. Wenn wir das in diesen Beziehungen schaffen können, dann sollte es in jeder anderen Beziehung funktionieren, was auch immer deren Grundlage ist. Wir sollten nach der größtmöglichen Verbindung suchen, egal was wir miteinander machen, egal in welchem Bereich wir miteinander zu tun haben. So verbunden können wir miteinander sein.

Ich glaube nicht, dass wir erwartet haben, dass wir das könnten. Hier in NC haben wir eine Hoffnung wach gehalten, dass wir etwas aufbauen könnten, und wir haben Hoffnungen und in einigen anderen Dingen manchmal Fantasien, aber wir brauchen die Fähigkeit, überall ganz menschliche Beziehungen zu haben – überall, wo wir mit anderen zu tun haben, wo wir kämpfen und ringen, damit Dinge gut werden. Wenn wir diese Verbindung und das Verständnis unter uns und mit anderen tatsächlich erreichen, sollte es viel weniger verwirrend sein, andere Schwierigkeit und Unstimmigkeit anzugehen, ob sie nun Schmerzmuster, dem Mangel an Information oder dem Mangel an Ressourcen zuzurechnen ist. Stell dir vor, wie viel einfacher und klarer alles das, was wir noch zu erarbeiten haben, sein wird.

Rational Island Publischers (Hg.): Present Time. Nr. 134, Januar 2004, S. 3, Seattle.

Übersetzt von Uta Allers und Marita Lersner


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